Hartz IV: Anreiz zur Veränderung

Als unsere Kanzlerin die etwas knauserig ausfallende Erhöhung der Hartz IV Sätze verteidigte, hatte sie ein zentrales Argument gegen alle, die ihr nachweisen wollten, dass man von Hartz IV eigentlich nicht menschenwürdig leben könne. „Hartz IV darf eben nicht als Dauerlösung verstanden werden. Es geht nicht darum, von Hartz IV angenehm leben zu können, sondern darum, den betroffenen Menschen einen Anreiz zu geben, möglichst schnell wieder in Arbeit zu kommen.“ (oder so ähnlich, genaues Zitat darf gern nachgereicht werden)

Und in gewisser Weise hat Frau Merkel recht: es ist ungerecht und auch gesellschaftspädagogisch falsch, bei jungen Leuten das Gefühl entstehen zu lassen: Arbeiten bringt nichts, ich leb viel besser mit Hartz IV und hab den ganzen Tag Zeit zum Rumhängen und Drogen nehmen. Aber nicht nur diese Leute bekommen Hartz IV. Der tolle Clou an der Hartz IV Einführung war ja die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Aber wer waren noch gleich die ehemaligen Sozialhilfeempfänger? Sind das nicht auch Arbeitslose? Ja, aber eben keine Arbeitssuchenden oder – ich scheue mich etwas vor dem Nazijargon – Arbeitsfähigen. Es sind alte Leute mit Minirente, Leute mit Behinderungen, psychisch Kranke, alleinerziehende Mütter mit vier Kindern, und andere Leute, die keineswegs einen Anreiz brauchen, endlich das faule Leben aufzugeben und für sich selbst zu sorgen. Für diese Leute ist Hartz IV ein Dauerzustand. Die 74jährige Oma braucht keinen schmerzhaften Anstoß, endlich mal ne Bewerbung im nächsten Call Center abzugeben. Sie wird den Rest ihres Lebens von Hartz IV leben, vielleicht noch 20 Jahre lang. Und wenn sie diese Zeit nicht menschenwürdig leben kann, dann ist das schlimm und ungerecht.

Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe mag verwaltungstechnisch sinnvoll gewesen sein. Inhaltlich war sie es nicht. Ob bürokratischer Aufwand oder nicht: es muss differenziert werden. Eine soziale Gesellschaft muss entscheiden können, wer in einer sozialen Notlage ist und Unterstützung braucht, und wer versucht, auf Kosten der anderen ein faules Leben zu führen. Und diese Entscheidung muss tatsächlich basieren auf einer individuellen Fallprüfung, bei der ein kompetenter Mensch nach bestem Wissen und Gewissen über das Wohl und Wehe der Antragsteller urteilt. Hier könnten auch durchaus mehrere Entscheidungs-Instanzen möglich sein, bzw. die Möglichkeit, vor einem klassischen Gericht, diese Entscheidungen überprüfen zu lassen. Klar ist das mit Aufwand verbunden. Klar sind hier Fehlurteile möglich. Klar ist es auch hier nötig, dass die Antragsteller einen Teil ihrer Privatsphäre aufgeben müssen, um sich misstrauisch kontrollieren zu lassen. Aber für eine gerechte soziale Gesellschaft sind solche Entscheidungen glaube ich unumgänglich.

Ich persönlich glaube nämlich nicht, dass die in diesem Zusammenhang oft vorgeschlagene Alternative „bedingungsloses Grundeinkommen“ (http://www.grundeinkommen.de/) tatsächlich funktioniert. Ich befürchte, dass eine Volkswirtschaft leider irgendwie doch darauf angewiesen ist, dass Arbeit nicht nur aus Spaß und Selbstverwirklichung erledigt wird, sondern auch aus der Not heraus, seinen Lebensunterhalt bestreiten zu müssen. Wer will schon freiwillig tagein tagaus Fischdosen in Kartons packen, Bahnhofstoiletten auswischen, oder bei der Berliner S-Bahn die Beschwerden beantworten?

Ich glaube: ein bedingungsvolles Einkommen für sozial Benachteiligte ist viel besser. Nur eine Differenzierung der Bezieher von gesellschaftlichen Leistungen kann dem allgemein schwelenden und von Frau Merkel propagierten Vorurteil entgegenwirken, dass eigentlich alle Hartz IV Empfänger faule Schmarotzer sind, die dringend einen Anreiz brauchen, endlich mal arbeiten zu gehen.

Über goodsquirrel

Philosoph und Musiker, reich und gutaussehend.
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